Portrait Younghi Pagh-Paan

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Hohes und tiefes Licht

Doppelkonzert für für Violine, Viola und Orchester (2010/2011)

»Die Suche geht weiter«

Sibylle Kayser im Gespräch mit Younghi Pagh-Paan
[ aus: Programmheft musica viva München, 14. Januar 2021, pp. 13-17.]

Frau Pagh-Paan, Sie haben Ihre neue Komposition, ein Doppelkonzert für Violine und Viola, Hohes und tiefes Licht genannt. Was hat Sie zu diesem Titel veranlasst?

Ich sehe die beiden Soloinstrumente als zwei verschiedene Zustände an, die aber eigentlich Eins sind. Vor einigen Jahren las ich die Schriften von Edith Stein und fand darin ihre Überzeugung, dass es im tiefsten Dunkel immer auch Licht gibt. Edith Stein wurde sehr von Teresa von Ávila beeinflusst. Das Doppelkonzert ist gleichsam eine Hommage an diese zwei großen Mystikerinnen. Nachdem ich mir das Thema der Einheit bildenden Verschiedenheit oder auch Gegensätzlichkeit für meine neue Komposition vorgegeben habe, stelle ich fest, dass ähnliche Vorstellungen auch bei Meister Eckhart eine Rolle spielten, ebenso im Buddhismus – und ich merkte auch, dass es sehr schwer war, hierin Musik zu machen...

Wie haben Sie diese Herausforderung also in Musik übersetzt?

Wenn man an »Licht« in der Musik denkt, verbindet man das häufig mit der Vorstellung von vielen glitzernden Trillern und brillanten Klängen aber das ist hier überhaupt nicht der Fall. Es ist keine impressionistische Musik. Jemand hat mich gefragt: Wie kann man denn »Licht« komponieren? Ich habe geantwortet: Mit Intervallen und mit Tönen. »Licht« kann man nicht klingen lassen – mein Stück ist eine Bewegung zum Licht hin, kein hastiges Rennen, eher ein Schreiten. Vor diesem Hintergrund sind die häufigen Quintolen und Triolen zu sehen, die den Notentext durchziehen; sie können den einzelnen Instrumenten ein individuelles Tempo und/oder Metrum geben, so wie jeder Mensch auch seine ihm eigene Gangart hat. Wichtig ist nur der Weg, der Versuch, zum Licht zu gelangen. Und eigentlich könnte es auch etwas anderes sein, als Licht – Hauptsache, man hat ein Ziel.

Aber es gibt doch auch ganz deutlich wahrnehmbar Stellen, an denen die Musik nur aus hellen, hohen Tönen besteht und dann wiederum ist alles düster – »tief« eben.

Dabei geht es mehr um die Extreme. Ich habe bestimmte Intervalle und Register gesucht, die ich in extrem hohe oder tiefe Lagen transponieren kann. Um in diesen Lagen spielen zu können, bildet das Orchester immer wieder kleine, kammermusikalische Gruppen. Vermittler zwischen diesen Extremen sind die zwei Soloinstrumente – sie spielen keineswegs nur die Hauptrolle.

Das stimmt, man hat nicht den Eindruck, als ob die beiden Solisten das Orchester dominierten. Es ist vielmehr ein Miteinander.

Ich wollte ein Konzert schreiben, in dem zwei Soloinstrumente im Dialog stehen, sowohl untereinander als auch mit dem Orchester. Das wird gleich am Anfang betont, denn die Solisten beginnen zusammen mit dem Orchester. Mein Grundthema: Zwei Individuen, die aus dem großen Ganzen kommen, durchaus neue Elemente einbringen, doch sich auch immer wieder in das Orchester integrieren.

Es gibt also keine Helden, denen alle nachfolgen. Eher die Botschaft, dass man nur gemeinsam etwas bewegen kann. Die Soloparts haben auch nur selten im klassischen Sinne exponierte, brillante Stellen...

Nein, was die beiden Solistinnen Melise Mellinger und Barbara Maurer hier beweisen müssen, ist, dass sie trotz der außerordentlich schwierigen Textur der Soloparts in der Lage sind, die Kommunikation mit dem Orchester zu leben und dadurch einen ungebrochenen, einheitlichen Spielfluss zu kreieren. Es gibt zwar kurze Solostellen »senza misura«, doch sind diese nicht im Sinne einer selbstdarstellenden Kadenz zu begreifen, sondern als neue Impulse für den weiteren inhaltlichen Verlauf des Stückes – also wieder der Blick aufs Ganze.

Wobei dieses Ganze durchaus heterogen ist. Es gibt viele verschiedene Teile, die nicht unbedingt miteinander verbunden sind, so als würden Sie hintereinander mehrere Türen öffnen und jeder Raum sieht anders aus.

Dies ist ein Prinzip, das ich von Olivier Messiaen übernommen habe, der die Arbeit eines Künstlers vergleicht mit einer Rosette. Dieses runde Kirchenfenster besteht aus vielen Farben, die nicht miteinander verbunden sind und die dennoch im Auge des Betrachters einen wunderbar stimmigen Eindruck entstehen lassen. Messiaen geht in seiner Musik ebenso vor. Das unterschiedliche musikalische Material wird nacheinander dargestellt, um sich schließlich als eine Einheit zu präsentieren. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist seine Komposition Couleurs de la cité céleste, worin auf ein Alleluja Vogelstimmen und andere Komponenten folgen.

Olivier Messiaen hat für Sie als Komponistin eine große Bedeutung. Was bewundern Sie außerdem an ihm?

Seine Genügsamkeit im Umgang mit dem Material und seine Ehrlichkeit. Egal, ob es große oder kleine Stücke sind, immer geht er konzentriert in seine Ideen hinein, schaut nicht nach links oder rechts. Messiaen verwendet nie mehr als er braucht. Er muss auch nicht zeigen, wie kompliziert er schreiben kann – er schreibt eines nach dem anderen, er blufft nicht.

In Ihrem Stück tauchen an drei exponierten Stellen sehr markante, hohe Schlagzeugklänge auf. Kann man hier konkrete Anklänge an Messiaen ausmachen?

Ja, dies habe ich tatsächlich explizit als Hommage à Messiaen geschrieben. In Couleurs de la cité céleste spielen hohe Perkussionsklänge eine wichtige Rolle. Ich wollte aber nicht exakt dieselben Instrumente wie Messiaen benutzen. In meiner asiatischen Heimat gibt es ein Sprichwort: »Man darf nicht in den Schatten des Lehrers – oder Meisters – hinein gehen.« Das heißt: Man soll nicht versuchen, ein großartiges Werk nachzumachen, denn das kann nichts werden, außer eben eine schlechte Kopie. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Ich verwende neun Crotales und ein Glockenspiel – hohe, zarte Klänge...

Im Vergleich zu Ihren bisherigen Orchesterkompositionen ist in Hohes und tiefes Licht das Schlagwerk geradezu unterrepräsentiert. Wieso gibt es hier relativ wenig perkussive Klänge?

Alles, was irgendwie mit Schlagzeug zu tun hat, kenne ich in- und auswendig, ich bin eigentlich eine Schlagzeug-Komponistin. Aber ich wollte einmal ein Stück schreiben, bei dem ich auf das verzichte, was ich sehr gut kann. Daher reduzierte ich den Einsatz von Perkussion darauf, klangliche Akzente zu setzen. Weiterhin wollte ich mich ganz auf die Klangmöglichkeiten des Solistenduos konzentrieren, auf sensible Klänge, auf die Kommunikation mit dem Orchester. Für diese innige Musik brauche ich nicht so viel Schlagwerk.

Mit dem Ergebnis, dass ein eher traditionell symphonisches Klangbild entsteht ...

… eben mehr orchestrale Klänge. Das war mir gar nicht bewusst, aber es stimmt. In der klassischen Orchestermusik kommt als Schlaginstrument vor allem die Pauke vor – und hier bei mir spielt ausgerechnet die Pauke eine große Rolle.

Was die verbleibenden Instrumentengruppen – Bläser und Streicher – betrifft, so fallen Ihre exakten Vorgaben in puncto Vibrato auf.

Ich unterscheide sehr stark zwischen dem Spiel mit oder ohne Vibrato, aber wenn ich »Vibrato« schreibe, dann soll das noch mehr Schwingung haben als normales Vibrato. Das darf dann auch den Umfang eines Halbtones erreichen, also durchaus gerne große Bewegungen

Womit wir wieder bei der Bewegung sind, der Bewegung hin zum Licht.

Genau. Die Musik ist stets im Fluss. Und dennoch bleibt ständig der Zweifel, ob man ans Licht kommt oder nicht. Das ist gerade meine offene Form und die Antwort muss jeder Zuhörer für sich selbst herausfinden. Meine Schlusstakte sind keinesfalls am Ziel – »zum Licht« – angekommen, sondern die Suche geht weiter.

Wann wussten Sie, dass Sie angekommen sind? Das Stück ist kaum eine Viertelstunde lang, der Schluss hat wider Erwarten nichts Apotheotisches.

Das einzige Kriterium war mein musikalischer Atem. Beim Komponieren fängt man ja immer wieder von vorne an. Als mein Atem zu Ende ging, habe ich das Stück abgeschlossen. Wenn ich merke, es reicht, dann höre ich auf. Ehrlich gesagt..., ich fand, dass ich mit einem kleinen Kerzenlicht in mir glücklich war. So habe ich dieses Stück als »angekommen«, als »fertig« empfunden.

Hartmut Lück (aus der Besprechung der Uraufführung im Weser-Kurier, 18.1.2012)

»Bei der Auftragserteilung hatte YPP vorgeschlagen, dass vor ihrem Werk die «Couleurs de la Cité Céleste» (»Farben der Himmelsstadt«, 1963) von Olivier Messiaen erklingen sollten, und so geschah es auch, und so geschah es auch. Pagh‑Paan versteht dieses Werk so, daß der französische Komponist die Farben einer Glasfenster‑Rosette zum Klingen bringt und dabei die mystisch geschauten Wohnungen des Paradieses in den Abschnitten des Werkes darstellt; ebenso will die koreanische Komponistin in ihrem Werk eine Folge von »Himmelswohnungen« vorstellen, doch gehen ihre Ab schnitte ineinander über, die Doppelstriche in der Partitur sind lediglich Orientierungspunkte. Aber sie hat noch einen zweiten Ahnen ihres Werkes freimütig benannt: Wolfgang Amadeus Mozart. Dessen »Sinfonia concertante« KV 364 ist ebenfalls für Geige und Bratsche geschrieben, zwei solistische Individuen, die aber immer wieder in eins verschmelzen oder sich ins Orchester einschmiegen.

Genau das passiert in »Hohes und tiefes Licht` auch: Die beiden Solistinnen (Melise Mellinger und Barbara Maurer von Freiburger »Ensemble Recherche«) spielen als Teil des Orchesters, aus welchem sie von Fall zu Fall heraustreten, meist gemeinsam. Und gelegentlich agieren sie sogar allein, in solistischen »Wohnungen«, die mit »tempo rubato« oder »senza misura« bezeichnet sind. Doch sind dies keine virtuosen Demonstrationen in der Art früherer »Solokadenzen«, sondern dienen völlig der Verwirklichung der Werkidee.

Diese wiederum hat ihren Grund in den Visionen der Mystikerinnen Teresa von Ávila und Edith Stein, wo von der Dimension der Tiefe die Rede ist, einer Tiefe der Seele, die nichts mit dem Oben und Unten (Himmel und Hölle) traditioneller Theologie zu tun hat. Die in Auschwitz ermordete Edith Stein trifft sich hier mit fortschrittlichen Theologen wie Dietrich Bonhoeffer oder Paul Tillich, Höhen und Tiefen menschlichen Denkens als Suche nach dem »Licht« darzustellen war das Ziel der Komponistin, die aus einem normal besetzten Orchester mit vielen, aber sparsam verwendeten Schlaginstrumenten ein farbiges und hochexpressives Ganzes formte, ein langsam schreitendes Gewebe aus Flageolettklängen, stärkerem und schwächerem Vibrato, zarten Perkussionstupfern und liegenden Klängen besonders im ganz tiefen und ganz hohen Register.«

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